Kurzgeschichte Nr. 1

Donnerstag, 29. November 2012

...

Annahme Angekommen

Endlich sind Semesterferien. Das Gefühl der Erlösung von einer großen Plage, das sich nach Ende eines Schulhalbjahres immer einstellte, will allerdings nicht so richtig aufkommen. Wä-re vielleicht auch unangemessen. Immerhin lernt man hier etwas fürs Leben und endlich, bes-tenfalls, aus eigenem, ja, im eigenem Interesse. Ich verlasse die Universität durch das Haupt-tor. Langsam im Nebel des nahen Mains verschwindend bleibt die große Alma Mater hinter mir zurück. Mich friert es. Es ist zwar erst Anfang Juli aber irgendwie kommt es mir so vor, als würde mich die große Mater direkt in die Klauen eines endlosen und umbarmherzig kalten Winters entlassen. Ich frage mich, warum Ich mich so fühle?
Es war ein ziemlich gutes Jahr für mich. Ich habe alle Scheine, die Ich machen wollte, ge-macht, habe trotzdem viel gefeiert, viele tolle Frauen kennen gelernt, ein paar sogar etwas näher und Ich habe viel Zeit mit Schreiben verbracht. Aber irgendetwas fehlt trotzdem. Ir-gendwie scheint die Wärme und die Sicherheit, die mir das letzte halbe Jahr hier gegeben hat, mehr mit der Uni verknüpft gewesen zu sein als Ich dachte. Was tun, wenn das Gefühl der Kälte jetzt bleibt? Wohin gehen? Erst mal nach Hause auf jeden Fall und dann auf Franks Party. Eine von Franks legendären WG-Partys, die sich auf die ganze 5er WG erstrecken und in der Regel ziemlich ausarten, ist jetzt genau das Richtige. Alle noch mal wiedersehen, ge-meinsam Gas geben, Es betrinken und dann… Was Frank wohl während der Ferien macht? Eigentlich kennen wir alle Frank nur als den immer gut gelaunten Partyclown, der für jeden aber auch für wirklich jeden Scheiß zu haben ist, solange man Ihm das Ding unter der Über-schrift Spaß verkauft. Der gute Frank. Wie einfach muss das Leben für Leute wie Ihn sein. Für Ihn wird sich durch die Ferien wahrscheinlich im Großen und Ganzen gar nichts ändern, außer, dass er jetzt noch mehr Zeit auf Partys verbringen kann und keinen Scheindruck, be-ziehungsweise Eltern, die Ihm mit Geldentzug drohen mehr im Rücken hat.
Ich werde nachher auf jeden Fall hingehen. Aber erst muss Ich dieses ekelhafte Gefühl los-werden. Ob so was im ersten Semester normal ist? Falls ja, wieso bekommt man dann keine verdammte Anleitung, wie man mit so was umzugehen hat? Ich will einen Joint, das spüre Ich, aber das wäre gerade jetzt wahrscheinlich keine gute Idee. Vielleicht später mit Mark, Frank und Lisa. Den alten Dopenasen. Außerdem müsste Ich eh erst an der Konsti was besor-gen und das wäre aber auch wirklich dann die allerletzte Option. Ich studiere doch. Irgendwas außer kiffen und saufen muss mir doch einfallen? Irgendwas… Vielleicht mich mal wieder ausschreiben? Irgendwie habe Ich dazu keine rechte Lust und das obwohl Ich weiß, dass es gerade darauf dabei ja nicht ankommt. Ich könnte mich natürlich auch einfach nur hinsetzten, mir Musik auflegen und mal das letzte Jahr ein bisschen Revue passieren lassen. Was war eigentlich alles, seit dem Ich in Frankfurt aufgeschlagen bin? Viel gewesen. Viel gewesen ganz sicher. Und Ich? Bin Ich immer noch derselbe? Irgendwie ja. Irgendwie ernüchternd diese Feststellung. Ich hatte mir von dem Ganzen irgendwie mehr versprochen. Das erste Jahr war rauschhaft. Punkt. Wie im Wahn bin Ich durch die Gänge der Uni und die Straßen der neuen Stadt gewetzt und hab alles, was sich mir darbot, und das war verdammt viel, mit offe-nen Armen empfangen. Komisch, dass davon nicht mehr geblieben ist. Vielleicht daher diese Kälte. Zuhause bei meiner Familie war es irgendwie immer so warm. So als würde ein kleines Kaminfeuer in mir brennen, das mich die ganze Zeit daran erinnert, dass Ich hier zuhause bin. Ich bin hier nicht zuhause. Ich glaube, das ist es. Ja. Das muss es sein.
Wie schafft man sich ein Zuhause fern von Zuhause? Dafür gibt es bestimmt auch keine An-leitung, obwohl die bestimmt viele Erstsemester gebrauchen könnten.
Ich gehe ins Bad und schaue in den Spiegel. In der Mitte des Spiegels hängt noch ein ver-trockneter Rest weißer Zahnpasta. Wie lange weiß Ich schon gar nicht mehr. Irgendwie ist dieser Zahnpastarest auf seine eigene Art ein bisschen wie Ich. Hier um zu bleiben. Ich werde hier nicht weggehen. Nicht bevor Ich diesen scheiß Abschluss habe. Warum mir das so wich-tig ist, weiß Ich gar nicht, wusste Ich nie. Vielleicht werde Ich das ja in den nächsten paar Jahren herausfinden. Vielleicht ist Studium auch nur eine Art verlängerte Phase der Selbstfin-dung. Irgendwo habe Ich mal gelesen, dass die Selbstfindung eines normalen Durchschnitts-menschen mit 30 Jahren abgeschlossen sein sollte. Ich bin jetzt 23. Bleiben also noch sieben. Dann geht’s ja. Was für ein Schwachsinn. Und es gibt da draußen bestimmt Leute, die das lesen und denken: „Oh Shit. Und Ich bin jetzt schon 33 und hab immer noch kein Plan, was Ich mit meinem Leben anfangen soll. Bin Ich abnormal? Muss Ich jetzt zum Psychologen? Was stimmt mit mir nicht?“ Und so weiter und so weiter. Das Leben geht weiter. Immer. Und Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch dann weitergeht, wenn man mit 30 seine Selbstfin-dung noch nicht abgeschlossen hat. Wie kommen diese abgewichsten Hobbypsychologen überhaupt auf so eine konkrete Zahl? Statistik? Neunzig Prozent der untersuchten Fälle haben gezeigt, dass aus Menschen, die Ihre Selbstfindung mit 30 noch nicht abgeschlossen haben, nie etwas wird? Oder noch besser: Englische Forscher haben herausgefunden, dass… Den Rest kennt man, kann man sich schenken.
Ich fahre mir ein letztes Mal durch die Haare, benutzte noch mal den Deoroller, den mir mein Onkel zu Weihnachten geschenkt hat und wende mich vom Spiegel ab. Also auf die Party. Frank hat gesagt, dass man auch schon früher kommen kann, wenn man will. Vielleicht weiß Frank ja, wie man sich in neuen Städten zuhause fühlt. So oder so, Ich gehe jetzt da hin und dann werde Ich eben sehen. Irgendwie schon ein gutes Gefühl, wenn man am Anfang eines solchen Abends weiß, wo man hingehen kann und was einen dort erwartet. Und mit einem Lächeln auf den Lippen verschließe Ich die Tür meiner Wohnung und mache mich auf den Weg.
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